S21-Volksabstimmung – Jahrestag der manipulierten Demokratie

(hier als pdf-Datei)

Vor 10 Jahren

S21-Volksabstimmung Jahrestag der manipulierten Demokratie

Falsche Fakten, ungleiche Bedingungen, längst überholte Ausgangslage

Niemand hat das Recht, sich auf die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 zu berufen, die sich am 27. November zum 10. Mal jährt – heute noch weniger als damals. Denn die Bevölkerung war bei der „Mutter aller Schlachten“ (Staatsrätin Gisela Erler), dem „Leuchtturm der Demokratie“ (Ministerpräsident Kretschmann) durch eine millionenschwere Kampagne mit verlogenen Behauptungen vor falsche Alternativen gestellt worden.

Bündnissprecher Martin Poguntke: „Der Bahnhof, für den die Mehrheit gestimmt hatte, wird gar nicht gebaut – kein Bahnhof für 4,5 Milliarden mit einer Kapazität von 49 Zügen pro Spitzenstunde, aus dessen Bau auszusteigen künstlich hochgerechnete 1,5 Milliarden gekostet hätte.“ Gebaut wird vielmehr ein Bahnhof mit einer verringerten Kapazität, der – jetzt schon, inklusive der sog. Ergänzungsprojekte – das Dreifache kostet und aus dessen Bau auszusteigen und auf eine Alternative umzusteigen sogar 6 Milliarden einsparen würde.

Schlimmer noch: Der inzwischen fast fertiggebaute Bahnhof ist so schlecht, dass seine 60 Kilometer Tunnel durch ein „zweites S21“ ergänzt werden müssen: durch weitere 47 Tunnel-Kilometer, für weitere rund 5 Milliarden und weitere immense Treibhausgasemissionen.

Was im Kern eine Konfliktlösungsformel zur Bildung einer Grün-roten Koalition war, dient bis heute als demokratisches Feigenblatt zur Rechtfertigung eines unsinnigen Projekts.
Hierzu Sarah Händel von Mehr Demokratie e.V., dem Fachverband für Bürgerbeteiligung:
„Entgegen der allgemeinen Wahrnehmung entlässt eine Volksabstimmung die Politik nicht aus der Verantwortung für ein Projekt und markiert auch nicht das Ende der Geschichte. Eine 10 Jahre alte Volksabstimmung, deren Faktengrundlage vollkommen überholt ist, hat als Legitimationsgrundlage ausgedient.“

Schließlich gilt der Rechtsgrundsatz, dass Verabredungen und Verträge nur solange Bestand haben, solange die Verhältnisse, unter denen sie zustande kamen, sich nicht wesentlich geändert haben („clausula rebus sic stantibus“).
(Siehe hierzu Anlage: Statement von Dr. Eisenhart von Loeper und Dieter Reicherter, Juristen zu S21)

Manipulativ war diese Volksabstimmung aber auch, wegen der völlig ungleichgewichtigen Kräfteverhältnisse: Die S21 unterstützenden Parteien konnten – wesentlich finanziert von der Wirtschaft und flankiert durch einen skandalös einseitigen Brief von OB Schuster (noch am Tag vor der Abstimmung und an alle Haushalte) – mit einem millionenschweren Werbeetat ihre Falschdarstellungen plakatieren. Währenddessen mussten die S21-Gegner mit privaten Spendengeldern von wenigen Promille dessen versuchen, ihre Position landesweit zu vertreten. „Das war organisierte Manipulation, freundlicher gesagt: gelenkte Demokratie“, so Poguntke.

Ausgesprochen demokratiefeindlich ist die Forderung von MP Kretschmann, nach dieser Abstimmung müssten Demokraten ihren Widerstand gegen das Projekt aufgeben. Es ist viel mehr der Sinn von Bürgerbewegungen, sich für (noch) nicht zur Mehrheitsmeinung gewordene Positionen zu engagieren.

Zehn Jahre nach der Volksabstimmung und angesichts der eskalierenden Klimakrise sollte die Politik Verantwortung übernehmen, sich ehrlich machen und sich Alternativen, wie dem Konversionsprojekt UMSTIEG21 (www.umstieg-21.de) zuwenden.

Kontakt:       Martin Poguntke, 0151 403 602 56, Werner Sauerborn, 0171 320 980 1

Weshalb man trotz der Volksabstimmung für einen Umstieg aus Stuttgart 21 sein sollte

Liebe Unterstützerinnen und Unterstützer der Petition »Stuttgart 21? – Bessere Bahn durch „Umstieg 21“!«,

erleben Sie auch immer wieder Gespräche, in denen der Protest gegen S21 als undemokratisch bezeichnet wird, weil das Projekt doch durch eine Volksabstimmung von den Baden-Württembergern demokratisch beschlossen worden sei?

Ermutigen Sie bitte die Menschen, sich dieser Petition dennoch anzuschließen: https://weact.campact.de/petitions/umstieg21
Sprechen Sie sie darauf an, dass ihre Auffassung ein Irrtum ist. Denn es spricht eine ganze Menge dagegen. Jeder einzelne dieser Punkte wäre allein schon ein Grund, nicht mehr am Ergebnis der Volksabstimmung festzuhalten:

Die Bedingungen haben sich geändert

Die Abstimmenden waren noch von Gesamtkosten von 4,5 Mrd. ausgegangen – inzwischen geht der Bundesrechnungshof aber von mehr als dem Doppelten aus.

Die Abstimmenden waren von einer Leistungssteigerung durch den Tiefbahnhof ausgegangen – inzwischen ist aber gewiss: S21 wird ca. 30 % weniger Züge bewältigen als der bestehende Bahnhof.

Die Abstimmenden waren von einem voll funktionsfähigen Bahnhof ausgegangen – inzwischen fürchtet aber auch der Bundesrechnungshof, dass die Bahn für S21 (wegen der 6-fach überhöhten Gleisneigung im Tiefbahnhof) nur eine eingeschränkte Betriebsgenehmigung bekommt.

Die Abstimmenden waren getäuscht worden

In der „Informations“-Broschüre des Staatsministeriums war z.B. der Eindruck erweckt worden, bei einem Ausstieg aus dem Projekt müsse der Steuerzahler 1,5 Mrd. ohne Gegenwert bezahlen.

Tatsächlich aber war die Hälfte dieses Betrags gar nicht vom Steuerzahler zu bezahlen, sondern nur ein Rücktauschgeschäft zwischen der Bahn und der Stadt Stuttgart – nämlich fast 0,8 Milliarden, die die Bahn der Stadt Stuttgart für die dann nicht bebaubaren Gleisgrundstücke hätte zurück bezahlen müssen (und wofür die Bahn dann den Gegenwert der Grundstücke auch wieder zurück bekommen hätte).

Und tatsächlich entfiel ein Viertel dieser 1,5 Milliarden auf den Ausstieg aus der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm – aus der ja aber gar nicht ausgestiegen werden sollte (und die auch ohne den Tiefbahnhof genauso gut betrieben werden kann).

Also in Wahrheit nicht 1,5 Milliarden „für nix“, sondern höchstens 400 Millionen (nicht „für nix“, sondern) für den Erhalt eines hervorragenden (nur eben seit Jahren nicht mehr renovierten) Kopfbahnhofs.

Die Abstimmung hatte keine zuverlässige Faktenbasis

Für jede Abstimmung gilt, dass erst die Abstimmenden über die Fakten informiert werden müssen (z.B. Kosten und Leistungsfähigkeit des Projekts), damit sie sich danach eine Meinung darüber bilden können, wie sie das Projekt bewerten wollen. Werden aber die Fakten (wie in der „Informations“Broschüre des Staatsministeriums zur Volksabstimmung) vor der Abstimmung als gegensätzliche Meinungen präsentiert, ist die Abstimmung nicht sachgemäß. (Man kann nicht abstimmen: Bist du für einen Bahnhof für 4,5 Mrd. oder gegen einen Bahnhof für 10 Mrd.? – dann wird es zu einer Abstimmung, wem man mehr glaubt, statt zu einer über das Projekt.)

Eine Volksabstimmung bindet nur die Regierung, nicht das Volk

Das Volk ist der Souverän und bleibt grundsätzlich in seinem Wollen und Handeln frei. Das Gleiche gilt für die Parteien, die die Willensbildung des Souveräns organisieren sollen – sonst müssten nach jeder Wahl die unterlegenen Parteien die Positionen der (von der Mehrheit gewählten) Regierung vertreten.

Keine Abstimmung befreit die Regierung von der Verantwortung

Ganz gleich, wie groß die Mehrheit ist, die sich für eine Sache ausgesprochen hat – eine Regierung hat immer nach dem obersten Grundsatz zu verfahren, „Schaden vom Volk abzuwenden“. Wenn solcher Schaden durch eine Abstimmung droht – sei es, weil die Abstimmung unter falschen Voraussetzungen stattgefunden hat, sei es, weil sich die Voraussetzungen mittlerweile geändert haben – muss eine Regierung die Abstimmung zur Disposition stellen.

Keine Abstimmung befreit die Menschen von der Verantwortung

Ganz gleich, wie groß die Mehrheit ist, die sich für eine Sache ausgesprochen hat – jeder Bürger muss weiterhin seine persönliche ethische Entscheidung treffen, ob er diese Sache unterstützen kann oder dagegen arbeiten muss.

Keine Abstimmung gilt für alle Ewigkeit

Jede, wirklich jede Abstimmung auf der ganzen Welt kann und muss korrigiert werden, wenn man Schwächen, Fehler, Änderungen gegenüber der Ausgangssituation feststellt oder einfach eine neue Bewertung vornimmt. Wer behauptet, einen Beschluss umsetzen zu müssen, komme, was da wolle, der handelt verantwortungslos und schadet der Bevölkerung, die Anspruch auf ein Regierungshandeln hat, das sich mit Verstand und ethischem Kompass an der jeweiligen Realität orientiert.

Deshalb: Werben Sie für einen Umstieg auf die Modernisierung des Kopfbahnhofs (www.umstieg-21.de), werben Sie für unsere Petition an die Bahn-Führung (https://weact.campact.de/petitions/umstieg21) – das Ergebnis der Volksabstimmung hat sein Verfallsdatum längst erreicht.