ETCS – der nächste Sargnagel für Stuttgart 21!

Unausgereifte Technik, Leistungssteigerung eher bei Umstieg als bei Stuttgart 21

Der Bahnknoten Stuttgart darf nicht zum Experimentierfeld einer noch bei weitem nicht ausgereiften Zugleittechnik werden, so Klaus Wößner von den Stuttgart-21-kritischen Ingenieuren22 angesichts der aktuellen Diskussion über die Milliarden teure Einführung von ETCS bei Stuttgart 21 und im damit zusammenhängenden S-Bahn-System. Dass ETCS nun von der DB und der Stuttgart 21 verantwortenden Politik als Wundermittel zur Kapazitätserhöhung verkauft wird, verweist auf Argumentationsnöte angesichts der Engpässe von Stuttgart 21 im Verhältnis zu der im Koalitionsvertrag geforderten Verdoppelung der Bahnkapazitäten bis 2030.

Gerade die Erfahrungen in der Schweiz zeigen, dass ETCS noch weit von einer Marktreife entfernt ist, bisher nennenswerte Leistungssteigerungen nicht belegt sind und auf eine technische Rückfallebene nicht verzichtet werden kann. Das in Stuttgart geplante ETCS Level 2 Baseline 3 ist bislang nirgendwo eingeführt, Erfahrungen aus der Anwendung im Feld oder gar Referenzen liegen nicht vor. Aufschlussreich hier die Erfahrungen des Schweizer Bundesamts für Verkehr (analog EBA).1 Das Bundesverkehrsministerium selbst erklärt im Nationalen Umsetzungsplan ETCS: „LZB2 und ETCS Level 2 haben bezüglich der Kapazität keine größeren Unterschiede.“3

Die für ETCS erforderlichen digitalen Stellwerke (DSTW) sind erst in der Entwicklung, erste Prototypen im Versuchsstadium, weit entfernt von der Anwendungsreife in einem großen Bahnknoten wie Stuttgart 21, so der Schweizer Bahnexperte und Lokführer Frederico Rossi in einem Facebookeintrag, und weiter: „Nach all den Problemen, die mit der unterirdischen Anlage Stuttgart 21 ohnehin zu erwarten sind, auch noch DSTW und ETCS Level 2 drauf zu packen, wäre nicht nur mutig, sondern hochriskant. Es würde die Wahrscheinlichkeit noch massiv erhöhen, dass es in Stuttgart für längere Zeit überhaupt keinen Bahnverkehr mehr geben wird.“ www.facebook.com/federico.rossi.5621

Statt einer überstürzten Fehlentscheidung mit unabsehbaren Folgen, ermöglicht die Beibehaltung der oberirdischen Gleisanlagen (www.umstieg-21.de) eine ETCS-Einführung dann, wenn der Effizienznachweis erbracht und das Produkt marktreif ist. In diesem Fall könnte ETCS seine Systemvorteile ausspielen, weil oberirdisch eine kürzere digital gesteuerte Zugfolge eher möglich ist als in den Steilstrecken der Stuttgart-21-Tunnel, in denen aus Brandschutzgründen nur wenige Züge gleichzeitig, eigentlich jeweils nur ein Zug verkehren kann.

Statt die Haushaltsmittel zur Förderung digitaler Zugleittechnik pauschal zu kürzen, sollte Finanzminister Scholz lieber sicher stellen, dass nicht wieder Bundesmittel in ein rückwärtsgewandtes Bahnprojekt in Stuttgart fließen, sondern in die bundesweite Ertüchtigung des Schienennetzes.

1 s. hierzu „Standbericht Eisenbahnbauprogramme des Schweizer Bundesamt für Verkehr (analog EBA), S, 89 Risiken ETCS

2 Linienförmige Zugbeeinflussung (LZB), die nicht an die ortsfesten Signale an der Strecke gebunden ist

3 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, „Nationaler Umsetzungsplan ETCS“, Version 1.11, 11. Dezember 2017 (eba.bund.de, pdf), S. 5 / Bl. 8 vor Absatz 1.2.5

Kontakt:
Werner Sauerborn 0171 – 320 980 1
Klaus Wößner 0171 535 327 8