Wessen Fasching? Grüne Wende, Zeitlüge

Liebe Freundinnen und Freunde,

Den Konflikt um das Politische des Karnevals, der gerade im Rheinland tobt, gibt es auch in Stuttgart. Nur ein paar Nummern kleiner. Und er hat viel mit Stuttgart 21 zu tun.

Weil er die „leichte Art des Karnevals störe“ hat das „Festkomitee“ des Kölner Karnevals gerade einen Wagen mit diesem Motiv verboten:

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„Ach, der Karneval. Satire soll er irgendwann mal gewesen sein, Persiflage, zumindest Spaß, gedacht als Aufmüpfigkeit und Protest gegen die Obrigkeit. In Wahrheit sind Büttengerede und der Rosenmontagskarneval in seiner Pappmascheebiederkeit besonders in Köln so witz- und zahnlos, dass man sich als Rheinländer (! W.S.) Session für Session fremdschämen möchte“, so die taz: http://www.taz.de/!153783/ und http://www.taz.de/!153744/

Und das hat gerade beim Kölner Karneval eine unrühmliche Vorgeschichte: „Während der Nazizeit wurden die Süßigkeiten von Anfang an begeistert mit ausgerecktem Arm geworfen. Heil Kamelle. Brav wanzte sich das Festkomitee Kölner Karneval an die neuen Machthaber an, die auch bald mitmischen durften in Organisation und Selbstdarstellung.“(ebd)

Auch der Stuttgarter Karneval, irgendwo im Niemandsland zwischen Rheinischem Karneval und Alemannischer Fassnacht, hat oppositionelle Wurzeln, wie die Ursprünge der maßgeblichen Karnevalsgesellschaft Möbelwagen e.V. seit 1897 ausweisen – aber auch dunkle Kapitel,  die in einer Chronik so umschrieben werden: „Die Nazis entdeckten und vereinnahmten das völkische Treiben für sich, wobei sich auch der Volksschauspieler Willy Reichert, der 1937 der Stuttgarter Prinz war, nicht ganz raushalten konnte“ www.vonzeitzuzeit.de/index.php

Heute präsentiert sich der offizielle Stuttgarter Fasching vor allem als zahnloser, unpolitischer Spaß- und Kommerzkarneval. Irgendwo zwischen Love Parade und Werbespektakel für Brauereien und Metzgerinnung. Kein Wunder, dass die Bürgerbewegung 2011 mit dem Versuch scheiterte, das alles beherrschende Thema der Stadt im Faschingsumzug aufzugreifen. Man wollte sich den miefigen Spaß nicht verderben lassen. Köln lässt grüßen.

Das war die Geburtsstunde des alternativen „Politischen Rosenmontagsumzugs“, der am 16.2. zum 5. Mal stattfindet. Vom Stuttgarter Wilhelmsplatz um 17 Uhr zur Montagsdemo. Das „Festkomitee“ heißt hier „Hoffnungsfroh“. Große Etats gibt es nicht. Es ist ein Faschingsumzug zum Selbermachen. Themen weit über Stuttgart 21 hinaus gibt es reichlich!

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Der Politische Rosenmontagsumzug gehört inzwischen zu den Institutionen dieser Bürgerbewegung. Und er hat noch viel Potential. Da kann der Blick nach Köln auch ermutigen. Dort hat sich gegen den angepassten Offizial-Karneval 1983 die Tradition der Stunksitzungen (Statt Prunk…) etabliert.

Die hat sich u.a. einen Namen gemacht, als 2006 der damalige  Papst Benedikt XVI. und der damalige Kölner Kardinal Joachim Meisner als Schwule „Ratze und Meise“ im Bett dargestellt wurden. Die Strafanzeige einer Privatperson wegen Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen löste ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren aus, das jedoch im März 2006 eingestellt wurde. Bereits 1993 gab es eine Anzeige, weil in einer Stunksitzung ein Kruzifix mit der Aufschrift „Tünnes“ gezeigt wurde. Die darauf erfolgte Beschlagnahme dieser Requisite erwies sich im Nachhinein als nicht haltbar: Ebenso wie der Sketch „Ratze und Meise“ war auch diese Aktion nach Auffassung des Gerichts durch die Kunstfreiheit gedeckt. Aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Stunksitzung. In der Karnevals-Session 2010/2011 fanden schon 50 Sitzungen mit rund 55.000 Jecken statt.

Damit greift die Montagsdemo das Thema
„Stuttgart für alle –wohin entwickelt sich die Stadt“

.. auf, zu dem am letzten Wochenende eine großartige, sehr kommunikative Konferenz im Rathaus (Einführung und Zusammenfassung von Norbert Bongartz – Anlage) stattfand und ein „OpenAir“ mit Kundgebung auf dem Schillerplatz und Umzug um den Schlossplatz. Dabei: die von einer Gruppe Architekten gebastelten Großlaternen mit Motiven der Konferenz.

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Cams21 war dabei und hat ein schönes Video produziert, das viel mehr ist als nur die Kamera draufhalten: http://cams21.de/stuttgart-fuer-alle-abschluss-open-air/

Wer die politische Brandrede von Joe Bauer lieber liest, als sie anzusehen: http://www.flaneursalon.de/de/depeschen.php?sel=20150201

Grüne Wende abgeschlossen

Step by step vollzieht sich der Politikwechsel der Grünen hin zu S21. Von der S21-Protestpartei, über das nie so ernst genommene kritische Begleiten, zum Mitmachen – zumindest auf kommunaler und Landesebene: Einfallstor kommunal ist Kuhns Projekt „Rosensteinquartier“ – ein breit angelegter  Beteiligungsprozess auf der Basis von S21, in den auch die GegnerInnen einbezogen werden sollen. Der Schwenk auf regionaler Ebene zeigt sich in der Aufgabe der Gäubahnvariante (Umstieg Vaihingen), einer Lösungsvariante für den Filderkonflikt, bei dem bisher noch auf die Grünen Verlass war, siehe. www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-region-ist-fuer-filderbahnhof-plus-variante.7011ddd8-0e3c-4355-bdd3-31d6f4afc086.html

Letzter Schritt auf Landesebene: Das Grün geführte Verkehrsministerium steigt wieder ein beim Stuttgart 21-Verein. Dietrich-Nachfolger Brunnhuber, Oberlobbyist und bisher Pofalla-Platzfreihalter bei der DB, wird auch gleich mit der Stimme des LMI-Vertreters zum Vorsitzenden gewählt. Brunnhuber feiert den Grünen Kotau: „Ich nehme wahr, dass die Realität auch beim Minister Spuren hinterlässt“, www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-der-s-21-verein-muss-aufs-geld-schauen.a25c3d05-7191-43d8-a57c-55a7349bb622.html

Die Zielsetzung des Vereins beschreibt Brunnhuber unmissverständlich:

Der Verein werde sich „ausschließlich“ (!) darauf konzentrieren, den Menschen die Vorzüge des Projekts näherzubringen: www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.neuer-stuttgart-21-vereinschef-brunnhuber-will-kein-sprachrohr-sein.56f747b5-e5db-4e38-92de-eff69c081098.html

Keine Partei, auch die Grünen nicht, machen solche Manöver ohne den Blick aufs Publikum, auf ihre Wahl- bzw. Machterhaltungschancen. Jenseits der Empörung stellt sich der Bürgerbewegung also die Frage, ob die grüne Wende, die ja von der Unabwendbarkeit des Projekts ausgeht, bei den BürgerInnen auf fruchtbaren Boden stößt – und was die Gegenstrategie-Bewegung ist, die den Ausstieg will. 

VGH vor Entscheidung zum zweiten Bürgerbegehren gegen S21 

“In Kürze” werde ein Termin bestimmt, damit sich der 1. Senat in öffentlicher Sitzung mit dem Bürgerbegehren “Ausstieg der Stadt aus dem Projekt Stuttgart 21” vom Frühjahr 2011 auseinandersetzen kann, schreibt die SWP-Bietigheimer Zeitung“ . Es ging beim 2. Bürgerbegehren um die verfassungswidrige Mischfinanzierung von Stuttgart 21. Rund 35 600 Unterschriften waren dafür gesammelt worden. http://www.swp.de/bietigheim/nachrichten/stuttgart/art1211454,3030517 

Die Zeitlüge

Lügen, oder neutraler gesagt: das systematische Vorenthalten von Informationen, ist eine Überlebensfrage des Projekts. Das gilt für die Frage der Leistungsfähigkeit. Was, wenn die Bahn AG einräumen müsste, dass der Bahnhof mindestens 1/3 weniger Züge abfertigen kann? Und das gilt für die Kostenfrage, die seit 2 ½ Jahren auf dem Stand von 6.8 Mrd. € nicht mehr fortgeschrieben wurde. Eng mit der Kostenlüge hängt die Zeitlüge zusammen. Was, wenn die Bahn einräumen müsste, erst 2014 oder später fertig zu werden? Welche Kostensteigerungen müsste sie einräumen? Welche Zinszahlungen an die Stadt würden fällig für die an sie verkauften Areale, die die Bahn weiter nutzt, ohne dafür einen Heller zu entrichten?

Konstantin Schwarz dazu in den Stuttgarter Nachrichten „Der Zeitplan für das Bahnprojekt Stuttgart 21 läuft immer mehr aus dem Ruder. Die Bahn reagiert in ihren Terminplänen mit einer nicht mehr nachvollziehbaren Kürzung der Bauzeiten“:

www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-baufirmen-sollen-zaubern.a736ab6a-c2ff-4451-83d2-a5a312c7e5fd.html

Einschlägige Schlagzeilen zum Thema:

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Rostrohre: Erfolg der Ingenieure 22

 

Ganz so leicht wollte sich das städtische Umweltamt wohl doch nicht von der DB über den Tisch ziehen lassen. Es bezweifelt den selbst ausgestellten pauschalen Freibrief der DB und wendet sich in internen Schreiben gegen die Einstellung des Monitorings, also der laufenden Überwachung des Grundwassermanagements.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-stadt-will-wieder-intensivere-ueberwachung.86b06356-7bcc-466f-ab31-db611597dc00.html

 

Tierversuche – S21?

 

Was haben die Tierversuche an Menschenaffen am Max-Planck-Institut und Tübingen mit Stuttgart 21 zu tun? Der missing link ist Eisenhart von Loeper, der nicht nur als streitbarer Rechtsanwalt und Aktionsbündnissprecher gegen S21 wirkt, sondern auch in Sachen Tierschutz aktiv ist. Jüngst hat er mit einer Strafanzeige gegen die Verantwortlichen eine Hausdurchsuchung bei den Tierfolterern ausgelöst.

 

www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.tierversuche-mit-affen-tuebinger-max-planck-institut-in-der-kritik.b4be2e0a-f22a-46a8-8515-d4c36f11f3b6.html

www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/startseite/60-neuigkeiten/1751-staatsanwaltschaft-durchsucht-das-max-planck-institut-in-tuebingen

 

 

Lesenswert

 

Wer mehr Infos und Meinung zu S21 braucht, dem seien die Seiten empfohlen von Siegfried Busch mit viel Hintergründigem und Lyrischem: www.siegfried-busch.de/page23/page21/page21.html

 

.. und der Infooffensive mit regelmäßigen Kommentaren von Andrea Hund: http://infooffensive.de/

 

 

Trauer um Dr. Gerald Rollet

 

Gerald Rollet, der am 17. Januar 89-jährig gestorben ist, kennen die meisten von seinen spektakulären Baumbesetzungen, über die die Stuttgarter Nachrichten am 6.2. 2012 schrieben:

 

Eine frostige Nacht in luftiger Höhe hat der 86-jährige Rentner und erklärte Stuttgart-21-Gegner Gerald Rollet hinter sich. Bei 13 Grad unter Null verbrachte der Senior die Nacht auf Montag in einer Platane im Stuttgarter Schlossgarten, um gegen das Abholzen der Bäume für das Bahnprojekt Stuttgart 21 zu demonstrieren. “Herr Rollet ist nicht das erste Mal aus Protest auf einen Baum geklettert”, erklärt Carola Eckstein, Pressesprecherin der “Parkschützer” (…). In die Äste des Baumes war Rollet selbstständig über eine Leiter gelangt… Am Ende ließ Herr Rollet sich von der Feuerwehr herunterholen.  Auf eventuelle Kosten für den Einsatz sei es ihm dabei nicht angekommen. Nach Ende der Aktion sei Rollet zwar kalt, aber gesund und munter gewesen, … “Nach einer Untersuchung durch den anwesenden Notarzt ist Herr Rollet nach Hause gefahren”, erklärt die Pressesprecherin der Parkschützer.
www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.s21-protest-rentner-harrt-bei-13-grad-in-platane-aus.cb7533fa-e319-4207-b15b-dd0660c4682b.html

 

Hinweise zur Trauerfeier am 9. Februar 13h auf dem Pragfriedhof, sowie ein Video, das er anlässlich des Weltgipfels Rio +20 im Jahr 2012 aufgenommen hat, auf:

www.bei-abriss-aufstand.de/2015/02/03/trauerfeier-fuer-gerald-rollet/

 

Fundsachen

Damit wir klug werden – Thomas Felder synchronisiert Grube

Wunderbares Video von Thomas Felder (9. Dez. 2014), bei dem der O-Ton von Bahnchef Grube  (Minute 0:57 bis 1:17) mit vielen bizarren und unwahren Aussagen mit verschiedenen neuen Texten unterlegt wird. Nachfolgend der blamable Auftritt von Pastoren bei der Tunneltaufe und das von Felder extra zur Kirchentagslosung komponierte Lied “Damit wir klug werden”: http://s21-christen-sagen-nein.org/2014/12/09/damit-wir-klug-werden-thomas-felder-synchronisiert-grube/

 

Immer wieder schön, besonders in närrischen Tagen:

 

 

 

& viele Grüße von Werner