Lehren am 10. Jahrestag von Geißlers sogenannter „Schlichtung“ zu Stuttgart 21
Am 30. November jährt sich zum 10. Mal die sogenannte „Schlichtung“ zum Projekt Stuttgart 21. Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 stellt rückblickend fest: Heiner Geißler hat damals mit riesigem Aufwand eine Blaupause für künftige Bemühungen geliefert, mittels simulierter Bürgerbeteiligung den Widerstand gegen Bauprojekte zu schwächen.
Sein Vorgehen wirkte faktisch manipulativ: wie er zwar vermeintlich alle Fakten zur Sprache kommen ließ, aber doch wesentliche Punkte abmoderierte und am Ende dann – losgelöst von diesen Fakten – rechtlich unverbindliche und vor allem unhaltbare Forderungen oder Versprechungen aufstellte, wie das Projekt zu verbessern sei. Auf welche Weise die Bahn, angeführt von Technik-Vorstand Dr. Volker Kefer mit zig Falschaussagen und Täuschungen arbeitete, hat erst im Nachgang Analyst Dr. Christoph Engelhardt in einer langwierigen Detailanalyse aufgedeckt. Dass schließlich das Aktionsbündnis von den Beratungen im Verlauf des Prozesses zunehmend abgekoppelt wurde, mag nicht Geißler zu verantworten haben, hat aber mit zu dem nur scheinbar „schlichtenden“ Abschluss des Fakten-Checks geführt.
Am Ende des Prozesses stand als zentrale Begründung, warum Stuttgart 21 dennoch weitergebaut werden solle, über allem die banale Aussage – die schon vorher bekannt war – dass die Bahn Baurecht habe. Da fragte man sich, wozu dann wochenlang Fakten gecheckt wurden. Schlimmer noch: Diese Aussage war schon damals falsch: Denn die Bahn hatte damals nur in einem Teil der Projektabschnitte Baurecht, und sie hat bis heute nicht in allen Abschnitten gültige Genehmigungen. Im Gegenteil: Am Flughafen wird selbst von den Projekt-Befürwortern die gesamte Filder-Planung infrage gestellt und inzwischen ein völlig neues zusätzliches Tunnelprojekt ins Gespräch gebracht.
Und dieses und weitere Zusatz-Projekte rund um den im Bau befindlichen Tiefbahnhof werden ins Gespräch gebracht, weil – jetzt erst – auch die Projektbefürworter zugeben, dass die Stuttgart-21-Gegner schon beim Fakten-Check vor zehn Jahren recht hatten mit ihrer Kritik an der mangelnden Leistungsfähigkeit des gesamten Projekts. Das gilt auch für weitere Punkte:
- Schon damals wurde von den Stuttgart-21-Gegnern kritisiert, dass Stuttgart 21 keinen „Integralen Taktfahrplan“ ermögliche. Und heute stellt die Bahn mit ihren „Deutschland-Takt“-Plänen unter Beweis, dass nur ein Taktverkehr für die Fernzüge möglich ist und auch dafür kein „integrierter“, also mit etwa zeitgleichen Ankünften und Abfahrten.
- Schon damals wurde von den Stuttgart-21-Gegnern kritisiert, dass die auf den Fildern geplanten Züge sich gegenseitig und die S-Bahn behindern und eine Weiterentwicklung des S-Bahn-Verkehrs unmöglich machen würden. Und heute wird vom Berliner Verkehrsministerium und hiesigen Landespolitikern ein zusätzlicher Tunnel vorgeschlagen, um die unlösbaren Probleme auf den Fildern buchstäblich zu umfahren.
- Schon damals wurde von den Stuttgart-21-Gegnern kritisiert, dass nicht der Kopfbahnhof zu wenig Leistung bringe, sondern die Zulaufstrecken. Und nun geben die Planer endlich zu, dass die Zuläufe zu knapp bemessen sind und planen zusätzliche Tunnel vom Umfang eines „zweiten Stuttgart 21“. Tragischerweise aber für einen zu kleinen Tiefbahnhof, der die zusätzlichen Züge gar nicht in guter Umsteigequalität bewältigen kann.
Lediglich die „kleine“ Wendlinger Kurve wurde inzwischen zu einer „großen“ ausgebaut. Allerdings nicht aus dem Stuttgart-21-Finanzierungstopf – obwohl diese Korrektur lediglich die Behebung eines der vielen Mängel innerhalb des Stuttgart-21-Projekts darstellt und für das Stuttgart-21-Projekt unverzichtbar ist und deshalb von den Stuttgart-21-Kritikern schon beim Fakten-Check gefordert worden war.
Weil Heiner Geißler beim Fakten-Check die Mängel von Stuttgart 21 durchaus gesehen hatte, stellte er – eigenmächtig und absprachewidrig – zum Abschluss, als „Schlichtung“ eine ganze Reihe von rechtlich unverbindlichen Forderungen, um ein „Stuttgart 21 PLUS“ zu bekommen. Jedoch wurde – obwohl zum Beispiel die CDU mit der Aussage „Ja zur Schlichtung“ mit eben diesen Forderungen Wahlkampf machte – (außer den Zulaufverbesserungen) keine seiner Forderungen erfüllt:
- Für die freiwerdenden Grundstücke gibt es keine „Stiftung“, die deren wunschgemäße Verwendung sicherstellte.
- Die kostbaren alten Bäume im Schlossgarten wurden nicht „verpflanzt“, sondern am 30.9. gefällt (verpflanzt lediglich einige wenig schützenswerte junge).
- Ein „leistungsfähiger“ Gäubahn-Anschluss über die Panoramastrecke und via Feuerbach an den Tiefbahnhof wird bis heute abgelehnt und bis heute auch keine wirkungsgleiche Lösung angeboten.
- An der im Fakten-Check auch von Geißler als mangelhaft erkannten „Verkehrssicherheit“ innerhalb des zu engen Tiefbahnhofs wurde nichts geändert – wie auch? Es ist ja gar kein Platz dafür da.
- Die Fluchtwege sind keineswegs „barrierefrei“ gemacht – im Gegenteil: massiv behindernd.
- Der Brandschutz wurde nicht „verbessert“ – stattdessen wurden Gutachten mit regelwidrigen Zahlen vorgelegt, um eine Genehmigung zu bekommen. (Das Aktionsbündnis und die Ingenieure22 haben deshalb – nach gerichtlich erzwungener Einsichtnahme in die von der Bahn geheimgehaltenen Unterlagen – beim EBA die Rücknahme der Genehmigung gefordert.)
- Ein „neuntes und zehntes Gleis“ wurde nicht einmal angedacht – es war ja aus Platzgründen auch schon damals illusorisch.
- Der „Stresstest“, der 30 Prozent mehr Leistung belegen sollte, wurde nur „bestanden“, weil – neben unrealistisch kurzen Haltezeiten und zahlreichen weiteren regelwidrigen Prämissen – sage und schreibe 13-mal in jeder Stunde eine Notlösung für überlastete Bahnhöfe zugrunde gelegt wurde, die kein Planer je für einen Neubau einplanen würde (und die im Übrigen auch im bestehenden Kopfbahnhof möglich ist): Doppelbelegungen, also zwei Züge gleichzeitig hintereinander am selben Bahnsteig.
- Ein Notfallkonzept wird bis heute nicht „vorgelegt“, sondern lediglich – ohne Belege – als machbar angekündigt.
Unterm Strich können wir diesem Fakten-Check nur ein verheerendes Zeugnis ausstellen: ein vorher schon entschiedenes Ergebnis, durchgängig ignorierte Fakten und ein konsequenzenloser „Schlichterspruch“ – dafür gestiegene Zustimmung in der Bevölkerung, die erst in den letzten Jahren wieder zunehmend Zweifel an dem Projekt anmeldet.
Kontakt:
Martin Poguntke: 0151 403 602 56
Christoph Engelhardt: 0176 96 93 69 59
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