Liebe FreundInnen,
nimmt man die Flut von Mails, die seit Wochen für die 500. Montagsdemo werben, als Maßstab, dann wird das „was Größeres“, eine außerordentliche Demo. Dafür sprechen auch die vielen Medienanfragen im Vorfeld: Interviewwünsche, Portraits von langjährigen Montagsdemonstrant*innen, Hintergrundberichte, teils schon in der Vorberichterstattung. Alle dabei: DER SPIEGEL, WDR, taz, kontext sowieso, BILD, SWR, Tagesschau, Mannheimer Morgen, Junge Welt, Süddeutsche, Schorndorfer und Waiblinger Zeitung und die Stuttgarter Zeitungen senden und schreiben oder haben schon gesendet oder geschrieben:
- Zehn Jahre Bauarbeiten, zehn Jahre Streit
- Immer noch gegen Stuttgart 21 auf der Straße
- 10 Jahre nach dem Baubeginn
- Ende der Indifferenz
- Alt-OB Schuster und die historische Chance von S21
- Bildzeitung im Gespräch mit Renate Knapper von der Mahnwache gegen Stuttgart 21
- Graben in der Stadt
Ungewollt verstärkt hat MP Kretschmann die Mobilisierung für die Jubiläums-Montagsdemo mit seinem Gaga-Statement, er habe mit seiner Politik des Gehörtwerdens den Konflikt ums Stuttgart 21 befriedet. (s. dazu PM des Aktionsbündnisses „Oberrealo mit Realitätsverlust“)
Die große Aufmerksamkeit für diese Leistung der Bürgerbewegung gegen das Projekt ist hoch verdient. In einer Pressemitteilung zur 500sten schreiben Hannes Rockenbauch und Tom Adler, die Fraktionsvorsitzenden der „FrAKTION“ im Stuttgarter Rathaus:
„Glückwunsch an alle Aktiven und Respekt für unglaubliches Engagement, einen enormen Durchhaltewillen und die Bereitschaft, viel Zeit in diese Bewegung zu investieren … Dieses Engagement zeigt das tiefe Verständnis der Stuttgart 21-Gegner für das, was ein lebenswertes Stuttgart ausmacht – und was Mensch, Klima und Schienenverkehr schadet. Und heute ist offenbar: die Prognosen der Kritiker*innen und Gegner*innen des Projekts Stuttgart 21 zu Kosten, Leistungsfähigkeit, Sicherheit und Klimaschädlichkeit stimmen … Die Bewegung hat sich von den gruseligen Taschenspielertricks, der irreführenden Kommunikation und Falschaussagen der Projektbetreiber nicht beeindrucken lassen… Die Stärke der Bewegung war immer, dass sie permanent Grundsatzfragen gestellt hat, die die Hintergründe des Projekts Stuttgart 21 offenlegten. Unsere Mitstreiter*innen haben dadurch eine detaillierte Faktenkenntnis, die wir auf der Seite vieler Befürworter des Milliardengrabs komplett vermissen.“
https://soeslinkeplus.de/2020/01/500-montagsdemos-durchhaltewille-wissensdurst-und-faktenkenntnis-der-bewegung-gegen-stuttgart-21 (noch unter altem Namen)
Anders als dieses wohltuende Kompliment, das man der FrAKTION, die ja Teil dieser Bürgerbewegung ist, uneingeschränkt zurückgeben kann, werden viele der schulterklopfenden Kommentare und Berichte rund um die 500ste einen faden Beigeschmack haben: Respekt vor Eurem großen Engagement und Eurem Durchhaltewillen, Ihr habt ja wirklich Vieles aufgedeckt und oft Recht gehabt, aber nun ist es allmählich auch gut. Der Bau schreitet voran. Zu glauben daran ließe sich noch was ändern, sei naiv.
Einen Vorgeschmack auf diese Art der Berichterstattung lieferte ein Kommentar in der Stuttgarter Zeitung anlässlich der 485 Montagsdemo am 14.10. 2019.
Und dann: „Den S21-Gegnern bleibt als Trost, dass sie es mit ihren hartnäckigen Protest ins Haus der Geschichte geschafft haben.“
Gelobt werden die Bürgerbewegten für Tugenden wie Mut, Durchhaltevermögen, Sachkenntnis, oft auch dafür, Recht gehabt zu haben. Unterstellt wird auch gern, es gehe ihnen soziale Gemütlichkeit oder einfach „Spaß an der Freud“, dagegen zu sein. Worum es ihnen in der Sache geht, wird abgespalten und ins Museum expediert, oder eben für naiv erklärt. Eine Auseinandersetzung mit dem, wofür die Menschen mit all diesen Sekundärtugenden solange eintreten, wird vermieden.
Damit betreibt ein Großteil der Medien das Geschäft der Projektverantwortlichen, die sich notorisch jeder Sachdebatte entziehen, wie zuletzt Gerd Hickmann in Vertretung von Verkehrsminister Hermann, der sich drei Tage vor einer zugesagten Diskussionsveranstaltung im Stuttgarter Rathaus zur Frage der Kapazität von S21 dem argumentativen Kräftemessen mit Prof. Wolfgang Hesse und Dr. Christoph Engelhardt per Absage entzog. (s. PM des Aktionsbündnisses)
Ähnlich wie der Bürgerbewegung gegen S21 geht es auch den jungen Klimaaktivisten: Schulterklopfen, aber dann bitte zurück auf den Boden der Realität – und das heißt Weiter so.
Dazu Greta vor der versammelten Mannschaft des Weltsozialforums im Januar in Davos:
„Sind wir naiv? … Nein, es ist einfach nötig!“
In diesem Sinne ist eine starke 500. Montagsdemo auch einfach nötig.
Neue Broschüre des Aktionsbündnisses – pünktlich zur 500sten erschienen
Stuttgart 21 – alternativlos? Never!
In großer Auflage im DIN-A-5 Querformat gedruckt, liefert die Broschüre einen kompakten Überblick über die gigantische Fehlplanung, über Defizite und Risiken des Projekts, über die Bürgerbewegung und ihren langen Atem und über die Strategie Umstieg 21. Besonders geeignet für die Information an der Mahnwache (dort bereits verfügbar, wie auch am Stand des AB bei der %00sten – jeweils gegen kleine Spende). S. Anlage.
Gegen Ende des Heftchens wird eine neue Idee skizziert, an der die Umstiegsgruppe des AB arbeitet. Nachdem als Alternative für die Bahnhofsgrube ja schon eine City-Logistik-Lösung skizziert worden war (Umstiegs-Update 2018), wird nun geprüft, ob in den Tunneln, in die allein aus Sicherheitsgründen nie tausende Zugreisende einfahren sollten, nicht ein intelligentes vollautomatisiertes System des parzellierten Gütertransport realisierbar wäre – von der Peripherie der Stadt in ihre Mitte. Dort Umschlag auf Elektro-Kleinfahrzeuge, z. B. Radtransporter wie bei Velocarrier. Das würde Stuttgart von Tausenden LKW-Fahrten täglich entlasten und könnte aus KlimaSkandal21 am Ende gar einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel machen. Entsprechende Modelle gibt es bereits in der Schweiz (Cargo sous terrain) und vermutlich demnächst in Hamburg mit dem Smart City Loop.
Interview mit Boris Palmer in Kontext
„S21 ist wie Krebs“
Jedesmal wenn er runtergucke in das Loch, dann denke er: „Das kann doch alles gar nicht wahr sein!“ Palmer lässt im Kontext kräftig Dampf ab über Deutschlands dümmstes Großprojekt. OB in Stuttgart will er aber lieber nicht werden, obwohl er dann Zugriff auf S21 hätte, wie er von Johanna Waidhofer-Henkel gefragt wird, denn da sei „die Wut noch zu groß“ auf Stuttgart 21.
Die Kapazitätsfrage ist bekanntlich die Klimafrage. Hierzu Palmer: „Wenn Greta recht hat und die Leute künftig umweltfreundlich unterwegs sein wollen, dann gibt es nur eine einzige Lösung, und das ist der Teilerhalt des Kopfbahnhofs. Denn den Tunnelbahnhof, wenn er erst einmal steht, verbreitert niemand mehr.“ – Da verließ ihn dann der Mut. Weiter als zu Kombi springt auch Palmer nicht.
Der Beitrag erscheint auch im Print als Beilage zur bundesweiten taz – auf deren Titelseite so angekündigt „Kann der Bund mit Stuttgart 21 seine Klimaschutzziele erreichen? Der Grüne Boris Palmer im Gespräch“
Klartext in Kontext
Arno Luik zum 10. Jahrestag der Prellbockanhebung
Deutlicher und eindeutiger wird da schon Arno Luik, der im Kontext anlässlich der sich auch gerade zum zehnten Mal jährenden, als Baustart deklarierten erbärmlichen Prellbockanhebung das ganze S21 Drama und ihre gescheiterten Protagonisten noch einmal Revue passieren lässt – von Schuster, Drexler, Grube hin zu den Grünen, die in einem ergänzenden Kommentar auf der Seite des Verlags sein besonderes Fett abbekommen: „Die Grünen und S21 – von Hoffnungsträgern zu Tätern“
www.westendverlag.de/kommentare/die-gruenen-und-s21-von-hoffnungstraegern-zu-taetern/
Auszüge aus seinem zum Spiegel-Bestseller avancierten Buch Schaden in der Oberleitung in https://www.kontextwochenzeitung.de/politik/461/s-21-wie-es-so-weit-kommen-konnte-6484.html
Oliver Stenzel, Kontext, zu 10 Jahre nach der Prellbockversetzung
„Wird ein Prellbock gehoben“
Für viele, die schon damals dabei waren, werden Erinnerungen und Wut wach über dieses „lehrbuchtaugliches Stück Symbolpolitik, das an jenem 2. Februar über die Bühne von Bonatzbau und Bahnsteigen ging“. Die damaligen Granden von Politik und Bahn „trafen indes nicht auf jubelndes und blumenwerfendes Volk, wie man es von royalen Hochzeiten kennt, nein, mehrere Tausend S-21-Gegner waren in die Bahnhofshalle geströmt, um die Inszenierung mit Pfeifen, Vuvuzelas und “Lügenpack”-Rufen zu stören“.
Lesenswert bzw. sehenswert macht den Beitrag auch das eingebaute Frontal21-Video von damals, in dem Egon Hopfenzitz, Roland Ostertag, Gangolf Stocker, Antje Hugger, Putte und Kretschmann zu besseren Zeiten – und die S21-Mafia mit ihren Lügengeschichten auftreten.
Wettern der Woche
Und natürlich immer und bei jedem Thema klasse in Kontext: Das Wettern der Woche von Peter Grohmann!
Immer wieder Thema anlässlich der 500sten
Die Grünen – eine einzige Enttäuschung
Winfried Hermann im Streitgespräch mit Grube SPIEGEL vom 20. September 2010
Hermann an Grube gewandt: „Und was die Dauer des Protests anbelangt, da werden Sie sich noch umgucken. …. Die Demonstranten gegen “Stuttgart 21” werden noch Monate durchhalten, und das wird insgesamt dem Image der Stadt erheblich schaden.“
„Es stimmt, wir Grünen hätten das Projekt gern beerdigt, aber diese Macht hatten wir als kleiner Koalitionspartner leider nicht. Heute sähe das anders aus.“
SPIEGEL: „Wenn die Grünen nach der Wahl in Baden-Württemberg mitregieren, würde “Stuttgart 21” sofort gestoppt?“
Hermann: „Ja, mit neuer Mehrheit. Wir wollen eine preisgünstigere Modernisierung des bestehenden Kopfbahnhofs“.
Interview mit Winfried Kretschmann vom 21. März 2011 auf der Webseite der Landesgrünen
Die Grünen haben einen eigenen Stresstest in Auftrag gegeben, um die Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 zu untersuchen. Das Ergebnis: Stuttgart 21 funktioniert nicht. Winfried Kretschmann nimmt im Interview zu der Studie Stellung.
Die Grünen haben einen eigenen Stresstest gemacht, um die Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 zu untersuchen. Warum?
Wir haben bei der Schlichtung gezeigt, dass die Bahn bisher mit fragwürdigen Fahrplankonstruktionen gearbeitet hat und Stuttgart 21 nicht mehr Züge bewältigen kann als der bisherige Bahnhof. (Hervorhebung W. S.) Deshalb verpflichtet der Schlichterspruch die Bahn zu einem Stresstest, um die Leistungsfähigkeit des geplanten Tiefbahnhofs zu prüfen. Das Problem ist aber, dass sich die Bahn bislang weigert, das Aktionsbündnis am Stresstest zu beteiligen. Deshalb haben wir Grünen jetzt eine eigene Studie zur Leistungsfähigkeit von S21 gemacht. Darin haben Experten einen Fahrplan erstellt, der Stuttgart 21 voll ausreizt. Dadurch können wir recht genau sagen, wie viele Züge maximal fahren können.
Wie sehen die Ergebnisse der Studie aus?
Unsere Untersuchung belegt, dass im geplanten Tiefbahnhof höchstens 40 Züge fahren können – das sind zwei Züge mehr, als heute im bestehenden Kopfbahnhof verkehren. Die Schlichtung fordert aber 49 Züge. Diese 49 Züge sind nur mit unglaublich teuren Nachbesserungen zu erreichen. Ohne zehn statt acht Gleisen und ohne die Beseitigung aller Engpässe im Zulauf kann die Bahn den Schlichterspruch nicht erfüllen. S21 müsste also komplett umgeplant werden – und würde weitere 600 Millionen mehr kosten. Die Projektkosten würde also auf jeden Fall die Grenze von fünf Milliarden Euro überschreiten. Auch sechs Milliarden sind durchaus realistisch.
Was heißt das im Vergleich zu K 21?
Das zentrale Ergebnis ist: Kopfbahnhof 21 ist definitiv viel leistungsfähiger und billiger als Stuttgart 21. Stuttgart 21 kann in der bestehenden Form nicht einmal mit dem bestehenden Kopfbahnhof konkurrieren. Und selbst wenn „Stuttgart 21 plus“ mit allen von Geißler vorgeschlagenen Verbesserungen realisiert würde, ist der Bahnhof weit weniger leistungsfähig als der modernisierte Kopfbahnhof (Hervorhebung W. S.), der 52 Züge in der Stunde bewältigen könnte. Und vor allem ist er mindestens zwei bis drei Milliarden teurer. Das Fazit ist also: Mit dem Kopfbahnhof können mehr Züge für weniger Geld schneller und zuverlässiger fahren als mit jeder Variante von Stuttgart 21.
Was bedeutet das für die Zukunft des Bahnverkehrs in Stuttgart?
Stuttgart 21 ist das Gegenteil eines Jahrhundertprojekts. Der Tiefbahnhof wird bereits bei seiner Fertigstellung seine Leistungsobergrenze erreicht haben. Der Schienenverkehr wird aber in den nächsten Jahren weiter wachsen. Mit Stuttgart 21 wäre das aber unmöglich – trotz seiner Milliardenkosten. Das zeigt: Nur der Kopfbahnhof bietet die notwendigen Entwicklungschancen für den dringend notwendigen Ausbau des klimafreundlichen Schienenverkehrs. (Hervorhebung W. S.)
Kein schönes Ende dieses Rundmails, umso freundlichere Grüße von
Werner