Strategischer Betrug, Kuhns Zitronen, Schwarzer Donnerstag, Schorlau

Liebe Freundinnen und Freunde,

Wird doch alles teurer. Die Wagenhallen 20 statt 5 Mio. €, der Ausbau der S2 nach Neuhausen auf den Fildern 125 statt 92 Mio. €, der Tunnel am Fehmarnbelt, deutsch-dänisches Megaprojekt, von 5,5 auf 6,2 Mrd. € – der Kölner Dom und der prächtige Frankfurter Kopfbahnhof waren auch nicht ohne Kostenüberschreitungen zu haben. Also alles im Normalbereich bei Stuttgart 21? Was soll der Stress?

So sähen sie’s wohl gern, die FreundInnen des Milliardengrabes und verweisen auch gern auf die Erfahrungen des privaten Häuslebauers, dessen neuer Wintergarten ja auch viel teurer geworden ist als ursprünglich gedacht. So einfach lässt sich jedoch das S21-Kostenkalkül von Politik und DB nicht in die Erfahrungswelt des Normalbürgers hineinschmuggeln.

Kostensteigerungen haben nämlich sehr unterschiedliche Gründe. Die „gemeine“ Kostensteigerung ist die Folge von schlampiger Planung, oft ein Eigentor des Häuslebauers für die er auch selber aufkommen wird, anders als die DB, die sich geduldet von der Politik, die Mehrkosten letztlich vom Bürger bezahlen lässt. Oder Mehrkosten sind Folge von Umplanungen, Ergänzungen, neuen Wünschen, die sich erst im Laufe des Baufortschritts ergaben. Dann sind sie ok und kein Grund zu meckern.

Bei den Mehrkosten von S21, deren Ende noch lange nicht absehbar ist, geht es jedoch nicht um dererlei Nachvollziehbares, sondern um strategischen Betrug. Der DB waren höhere Kosten nachweislich vor Abschluss des Finanzierungsvertrags, auch vor der Volksabstimmung, bekannt. Sie hat sie bewusst verschwiegen. Das ist Betrug. Strategisch ist das insofern, als die Kostensteigerungen zu Zeitpunkten bekannt gegeben werden sollten, an denen sie durchsetzbar sein würden, nämlich, wenn schon einiges, vor allem optisch, gebaut sein würde. Dies wurde möglich, indem sich die DB von ihren früherem Beschluss, erst mit Bauen zu beginnen, wenn das gesamte Projekt steht, also planfestgestellt ist, verabschiedete.

Mit dem Baufortschritt, so schildbürgermäßig er auch ist, wird ein Eindruck der Unumkehrbarkeit erzeugt, dem die einen nolens, die anderen volens erliegen. Ein Druckmittel, mit dem die Öffentlichkeit, die Politik, zahnlose Aufsichtsbehörden und nicht zuletzt eine schwache Justiz sich, mitunter gern, erpressen lassen. Kostensteigerung aus Dummheit sind ärgerlich, müssen nicht passieren, aber passieren. Kostensteigungen als Teil eines strategischen Betrugs sind ein Politikum, ein Systemfehler, der des Widerstands bedarf.

Hinzu kommt noch: Kostensteigerungen beim Kölner Dom oder beim Frankfurter Hauptbahnhof, haben gottseidank nicht zum Projektabbruch geführt und sicher erfreut sich der Häuslebauer trotz Mehrkosten seines Wintergartens. Kostensteigerungen für ein Projekt, das nicht nur keine Vorteile bringt, sondern schadet, sind unter keinen Bedingungen akzeptabel und verdienen doppelten Widerstand.

Das Land soll das regionale Schienennetz übernehmen!

Die Diskussion um politische Konsequenzen aus Stuttgart 21 und dem Niedergang der Bahn geht weiter.  Jetzt fordert der VCD, zunächst als „Prüfauftrag“, dass das Land BaWü vom Bund das regionale Schienennetz übernehmen soll – und beruft sich dabei auf eine Passage aus dem Koalitionsvertrag: www.vcd-bw.de/presse/2014/24-2014/index.html. Auch die StZ: www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.unpuenktliche-bahnen-land-soll-netze-uebernehmen.9677f594-863e-4a40-b24c-57b04f608adc.html 

GDL – Es geht um mehr als einen Streik

Mit der GDL ist der DB von einer anderen Seite ein starker Gegner erwachsen, mit dem sich nicht so einfach Schlitten fahren lässt. Beim Arbeitskampf der GDL geht’s nicht nur um Lohn und die Arbeitsbedingungen der Bahnbeschäftigten (nicht nur der LokführerInnen, sondern direkt und indirekt aller DB-Beschäftigten), sondern wie bei S21 auch um mehr.

So ist die „Streikzeitung“, deren zweite Ausgabe an der Mahnwache, auf der MoDemo und auch bei Verteilaktionen im Bahnhof zu haben ist, mehr als ein Infoblatt über den Streik, der ja auch gerade pausiert. Sie ist eine politische Streitschrift u.a. zu gewerkschaftspolitischen Fragen, zur Bahnprivatisierung, zu Investoreninteressen bei der DB, zur Einstellung der Nachzüge – und zu Stuttgart 21.

Die dritte Ausgabe ist in der Mache: www.pro-gdl-streik14.de

Rosensteinquartier: Da hat Kuhn wohl mit Zitronen gehandelt

Stuttgart 21 kommt und deswegen verplanen wir jetzt im nächsten feinen Bürgerdialog das Gleisvorfeld. So war Kuhn vorgeprescht (s. letztes Rundmail). Da dürfte er in seinem Anpassungseifer mit Zitronen gehandelt haben. Denn erstens ist mehr als zweifelhaft, dem ehemaligen Bahnmanager Prof. Bodack zufolge sogar ausgeschlossen, dass das Gleisvorfeld entwidmet, d. h. zu anderen Zwecken als Bahnverkehr genutzt werden darf. Ein Versuch von Verkehrsminister Dobrindt, mit einer Lex Stuttgart 21 die Rechtslage entsprechend beizubiegen, war jüngst gescheitert. Schuster hat der Bahn sozusagen unverkäufliche Ware abgekauft und Kuhn will sie jetzt verticken. 

Videos /Flügel TV von Pressekonferenz der Parkschützer:

Bodack: http://www.youtube.com/watch?v=Z7h66T2GZJI&feature=player_embedded

Von Loeper: http://www.youtube.com/watch?v=JaaJSltM-hE&feature=player_embedded

Matthias von Hermann & Diskussion:
http://www.youtube.com/watch?v=jXudpMnIwkg#t=12

http://www.youtube.com/watch?v=2WsevBOCLyE

kurz gefasst: Bodack auf 247. MoDemo:

http://www.bei-abriss-aufstand.de/2014/11/18/rede-von-prof-bodack-bei-der-247-montagsdemo/

Bericht:
www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-s-21-gegner-kuhn-ignoriert-fakten-bei-stadtplanung.12825b7f-b452-4530-a317-269b1e8883a4.html

Klage der Stuttgarter Netz AG

Entscheidung VG Stuttgart zu Verbot der  Gleisvorfeldbebauung voraussichtlich Mitte Februar 2015: www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-klage-gegen-gleisabbau-bald-vor-gericht.03dba493-ba0a-49fa-9df6-253824f7e009.html

Zum zweiten hat Kuhn in seinem Realo-Drang wohl übersehen, dass es unter unabhängigen Klimatologen, beim BUND und bis weit hinein in seine grünen Reihen eigentlich Konsens ist, dass das Gleisvorfeld im B-Areal (Rosensteinquartier) nicht bebaut werden darf, wenn die Aufheizung und die Feinstaubbelastung im Stuttgarter Talkessel sich nicht noch weiter zuspitzen soll.

Dass sich Kuhn als grüner OB über dieses No-Go anscheinend hinwegsetzen will, wäre nicht Real-, sondern Irrealpolitik – und möglicherweise auch hier mit Zitronen gehandelt. Denn erst jüngst hat der Europäische Gerichtshof bestätigt, „dass die Luftreinhalterichtlinie und somit auch die Erstellung von Luftreinhalteplänen zur zeitnahen Einhaltung der Grenzwerte verpflichtend in ganz Europa gelten“.  Darauf macht Matthias Lieb in einer PM des VCD aufmerksam. „Viele Städte hatten bislang die Einhaltung von Grenzwerten eher als eine langfristig umzusetzende Aufgabe angesehen. Insbesondere für die Stadt Stuttgart sollte dieses Urteil ein Weckruf sein, die bisherige Maßnahmenpraxis zu überdenken“: www.vcd-bw.de/presse/2014/25-2014/index.html

Entscheidung des EuGH: www.jurion.de/de/news/305542/EuGH-Einhaltung-der-Grenzwerte-fuer-Stickstoffdioxid 

Bahn stolpert und dümpelt weiter bei S21

Hier dokumentieren die Netzwerke 21 den „Quartalsbericht der DB zum Baufortschritt“:

http://netzwerke-21.de/?p=5122

Der Prüfbericht der TU Chemnitz zur Filderplanung der DB und dem Mischbetrieb wird erst im Februar vorliegen. Erst dann kann das Regierungspräsidium sein Votum abgeben. Ihm fehlen auch noch weitere Unterlagen der DB. Ohne Abschluss der Anhörung kein Feststellungsbeschluss des EBA. Ohne Klärung des Filderproblems kein S21 – jedenfalls nicht in der bisher geplanten Form. Es geht weiter wie bei BER. Ende offen.

www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-neues-gutachten-zu-filderbahnhof-erst-im-februar.a5195b55-a0a1-4958-b474-f78dcf24df83.html

Cross-border-leasing und Stuttgart 21

2002 hatte der von Kretschmann hoch dekorierte OB Schuster in einem abenteuerlichen Spekulationsgeschäft das gesamte Stuttgarter Kanalnetz an einen US-amerikanischen Spekulanten verleast – ein inzwischen verbotenes Steuersparmodell zu Lasten des amerikanischen Fiskus. Der Vertrag verbietet Eingriffe in das verleaste Kanalnetz, wie sie bei S21 vorgenommen werden müssen. Das aber haben Bahn und Stadt wohl ohne Einbeziehung des Investors vor. Es drohen Millionen-Schadensersatzklagen.

http://www.hundert-wasser.org/URL1241991613.html

www.bei-abriss-aufstand.de/2014/11/18/s21-cross-border-leasing-bei-schuldhaften-verhalten-droht-milliardenklage/

Aktuell:

Ing22 klagen erfolgreich gegen Geheimhaltungspolitik der Stadt:

www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.vertraege-zum-kanalnetz-stadt-muss-einsicht-neu-pruefen.d11290db-4daf-4b35-aa4c-8912a5cd591e.html

Schwarzer Donnerstag – Abbruch der Aufarbeitung?

„Das ist ein gewaltiger Justizskandal“, so Matthias von Hermann von den Parkschützern. Einen „Schlag ins Gesicht für die Nebenkläger“, nannte Frank-Ulrich Mann, Anwalt von Dietrich Wagner, der am Schwarzen Donnerstag sein Augenlicht fast vollständig verlor, die geplante Einstellung des Verfahrens gegen zwei am Wasserwerfereinsatz beteiligte Führungskräfte der Polizei. Damit würden viele Hoffnungen, die Justiz würde, wenn sie sich schon nicht an Stuttgart 21 selbst ran traut, wenigstens die Machenschaften in der Mappus-Polizei aufdecken, schwer enttäuscht.

www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.wasserwerferprozess-die-angeklagten-wollen-einstellung-zustimmen.e4f12439-74cb-4893-a64b-a44ece87a9fc.html

Schön zum Schluss

„Krimi-Autor Wolfgang Schorlau glaubt nicht daran, dass der Tiefbahnhof Stuttgart 21 je eröffnet wird. Das Desaster um den Berliner Flughafen zeige, wie sich Großprojekte von selbst erledigen könnten, sagte der 1951 geborene Schriftsteller der Deutschen Presse-Agentur. Die Landeshauptstadt bezeichnete Schorlau als „geschändete Schöne“. „Dass man den städtebaulich empfindlichen Kessel so derb den Investoren überlässt, das macht keine andere Stadt“, sagte er. In Berlin würden zwar punktuell auch Areale verkauft. Das vergleichsweise kleine Stadtgebiet in Stuttgart sei jedoch viel sensibler.“

… schreibt heute StZ-online: www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-wolfgang-schorlau-glaubt-nicht-an-eroeffnung.3e8ceed9-aa5b-46a4-a21d-631ffddc36b1.html

& viele Grüße von Werner

(wer in den Rundmail-Verteiler aufgenommen werden will:werner.sauerborn@t-online.de)

Peter Altmaier ist in der Pflicht

Bundesminister Peter Altmaier soll dafür „sorgen, dass der Öffentlichkeit endlich reiner Wein eingeschenkt wird, was im Kanzleramt zwischen Dezember 2012 und März 2013 gelaufen ist“. Dazu aufgefordert hat ihn mit Schreiben vom 16. November 2014 Rechtsanwalt Dr. Eisenhart von Loeper, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21.

In der Sache geht es um die Einsicht in interne Unterlagen des Amtes, die Aufschluss über die Hintergründe des Weiterbaus von Stuttgart 21 schaffen können. Das Kanzleramt hatte diese Dokumente am 22. August diesen Jahres zwar freigegeben, sie aber „in wesentlichen Teilen geschwärzt und verschwiegen“.

Da die Behörde inzwischen weder auf von Loepers Widerspruch vom 1. September noch auf dessen Mahnung vom 4. November reagiert hat, nimmt der Bündnissprecher nun den Amtschef selbst in die Verantwortung.

Das Argument des Amtes, die geschwärzten Teile beträfen den „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“, weist der Rechtsanwalt zurück. Vielmehr spiegele sich darin „eine unzulässige Anmaßung exekutiven Handelns aus der Zeit Ihres Amtsvorgängers Ronald Pofalla“.

Am 12. Dezember 2012 und 5. März 2013 hatte der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG darüber zu befinden, ob „der Weiterbau von S 21 trotz der um 2,3 Milliarden Euro weggebrochenen Wirtschaftlichkeit noch zu verantworten sei“.

Falls es dabei, so von Loeper, „keinen exekutiven Übergriff auf Vorstand und Aufsichtsrat der Bahn“ gegeben habe, könne das Amt die einschlägigen Dokumente sicher ohne weiteres offenlegen. Zeigten aber die geschwärzten Akten und Pofallas vorenthaltener Terminkalender „bedenkliche Vorgänge“, so müsse – anders als zu Pofallas Zeiten – Altmaiers Bindung an Gesetz und Recht gemäß Grundgesetzartikel 20 Absatz 3 „vorrangig sein gegenüber sachfremden Interessen“.

Da die Rechtslage zweifelsfrei sei, erwartet der Bündnissprecher nun die „Freigabe der vorenthaltenen Informationen“. Denn eine Klage würde das Kanzleramt sicher beschämen.

Kontakt:
    Dr. Eisenhart von Loeper, Telefon 07452-4995 und 0152-0825693
Hermann Schmid, Telefon 07151-82538 und 0171-5531693

2014-09-01 Widerspruch gegen Kanzleramtsbescheid

2014-11-16 Brief an Kanzleramtschef Peter Altmaier

Stuttgart 21 – ein gesellschaftlicher Schwarzbau

Sehr geehrte Damen und Herrn,

vor Ihnen steht ein Badener, dessen einzige Demo viele Jahrzehnte zurückliegt. Damals habe ich mich in einer Bürgerinitiative gegen die Bruchsaler B35-Nordumgehung engagiert. Sie konnte verhindert werden. Etwas zu bewirken war damals vielleicht noch einfacher möglich, da es in der Zeit weniger große Koalitionen gab. Es gab noch starken politischen Wettbewerb.

Inzwischen ist der gebürtige Bruchsaler 25 Jahre beruflich in der Welt herumgekommen und Schweizer geworden. Seit 14 Jahren lebe und arbeite ich an der Grenze zwischen der deutsch- und französischsprachigen Schweiz. Das ist weit weg von Stuttgart. Und dennoch stehe ich heute hier und biete Ihnen an, Sie in Ihrem Anliegen in den nächsten Monaten aktiv zu unterstützen. Warum? Weil S21 für mich ein Symbol für ein staatlich organisiertes und praktiziertes Unwesen beim Bauen in Deutschland ist. Keine Stadt der Welt hat es verdient, mit einem Projekt wie Stuttgart 21 gestraft zu werden.

Glaubwürdigkeit

Aber was kann ich als schweizer Publizist schon für Sie tun? Genau das, was Publizisten eben tun. Sie beeinflussen die öffentliche Meinung. Das Thema Bauen wurde zu meinem Spezialgebiet.

Am 21. Juli habe ich ein umfangreiches Buch mit dem Titel BauWesen/BauUnwesen herausgegeben. (Infos unter bauunwesen.de) Der Untertitel lautet: Warum geht Bauen in Deutschland schief? In der selben Woche war das Thema BauUnwesen mit einem großen Artikel in der Zeitung „Die Welt“. Am 28. Juli hat mich ein Kamerateam des ZDF völlig überraschend als Bauexperte zu Stuttgart 21 befragt. Zum Spatenstich am 4. August wurde dann ein Teil dieses Interviews im heute-journal einem Millionenpublikum gezeigt. Ich hatte wenige Sekunden Zeit, um den Zuschauen zu vermitteln, dass ich S21 für ein unsinniges und schädliches Projekt halte.

Motivation – Warum gehen Projekte schief?

Wie kam es, dass ich bis März 2015 meine ganze Kraft vollständig dem Stopp des Deutschen BauUnwesens widme? „Schuld“ daran ist ein Stuttgarter. Einer der vielen gewissenhaften und verantwortungsvollen Beamten, die es in Deutschland gibt und die sich täglich mit den schiefen Bauprojekten der öffentlichen Hand abplagen.

Dieser gute Beamte hat mich im letzten Jahr hier in der Stuttgarter Innenstadt zu einem privaten Essen eingeladen. Er bat mich, meine wirtschaftliche Unabhängigkeit zu nutzen, um etwas gegen die systematischen Missstände beim Bauen in Deutschland zu tun. Er beschrieb die Situation und eine Zukunftsperspektive, die gravierend genug war, dass ich versprach, mich an die Materie heranzutasten.

Im ersten Schritt ging ich der Frage „Warum gehen Bauprojekte schief?“ nach. Nach drei Monaten Recherche hatte ich die völlig überraschende Erkenntnis: Bauprojekte gehen beim Bauen nie wirklich schief; die Leute auf der Baustelle beherrschen Ihren Job und machen ihn gut. Wenn ein Bauprojekt ernsthaft schiefläuft, dann nur, weil das Projekt schon schief aufgesetzt wurde.

Und wenn das Fundament eines Projektes schief ist, können es die Bauleute nie mehr geraderücken. Und, meine Damen und Herren, S21 ist aus meiner Sicht eines der schiefsten Projekte Europas.

Was sind schiefe Bauprojekte?

Wie kann eigentlich ein Projekt schief aufgesetzt werden. Was heißt das konkret? Schief ist ein Bauprojekt, wenn es mit illusorisch tiefen Budgetzahlen gestartet wird. Diese Budgetzahlen werden bewusst so tief nach unten manipuliert, dass ein Projekt gerade noch genehmigt wird. Am Ende kostet es dann viel mehr als nötig. Der Schaden ist immens.
Die besten Beispiele dazu:

  • In Berlin sollte vor zehn Jahren ein Flughafen gebaut werden. Der war von Anfang an viel zu klein geplant. Er sollte nur 1,6 Mrd. kosten. Beim Bauen wurde er scheibchenweise um 40 Prozent erweitert. Die Technik des zu kleinen Flughafens hätte knapp kalkuliert 1,2 Mrd. gekostet. Im Budget war aber nur die Hälfte vorgesehen. Dafür wurden Aufträge vergeben. Das Ergebnis ist allen bekannt: Kosten in Höhe von über fünf Mrd. Euro, und wegen technischer Probleme ist kein verlässlicher Termin in Sicht.
  • In Hamburg wurde ein Weltklasse-Konzerthaus in den Hafenschlick gesetzt. Beim Spatenstich betrug das Budget 2000 Euro pro m2. Ein günstiges Konzerthaus in Freiburg kostete 1998 schon 5000 Euro/m2. Im Abschlussbericht wird deutlich: „Ohne Lügen und Vertuschung wäre die Elbphilharmonie nie gebaut worden“ („Die Zeit“, 7. April 2014). Dann hätten die Hamburger Bürger 800 Mio. Euro gespart. Und sie müssten nicht lebenslänglich drei Konzertsäle mit mehr als 50% der Betriebskosten (Referenz Berliner Philharmoniker) subventionieren. Das sind mehrere Millionen Euro zusätzliche Fixkosten für den Haushalt jedes Jahr.
  • Das nächste Beispiel kommt direkt als dem Herzen der Republik – ein Projekt genehmigt vom Deutschen Bundestag: Im Herzen Berlins wird das Stadtschloss der glorreichen preußischen Könige und deutschen Kaiser originalgetreu neu aufgebaut. Das Budget für den Grundausbau liegt bei 590 Mio. Hier fehlen sicher 190 Mio. Euro. Teile des Gebäudes wurden beim Budget einfach weggelassen.

Wenn man beim Budget betrügt, wird das Bauwerk noch viel teurer als nötig. Dem Volk wird etwas als billig verkauft und hinterher kostet es viel mehr als bei vernünftiger Kalkulation. Alle reden von Kostenexplosion, wenn das Bauwerk später 1,3 Milliarden kostet; dabei war alles nur eine Kostenillusion.

In NWR baute man ein Aktenarchiv für 30 Mio. Euro und endet bei 190 Mio. Euro. Mehr als zwei Jahre Untersuchungsausschuss und Millionen an Gutachterkosten finden die Ursache nicht. Der Bund der Steuerzahler könnte jedes Jahr ein dickes Buch mit solchen Projekten herausbringen. Und es wird immer schlimmer.

Die neue Bundesbauministerin stellte fest, dass 26 von 40 Projekten des Bundes aus dem Ruder laufen. Ihr Vorgänger wusste warum. Er hatte im April 2013 eine große Reformkommission eingesetzt. Das Ziel: „ (…) mehr Kostenwahrheit und Kostentransparenz erreichen. Schaden vom Ruf der Techniknation Deutschland abwenden (…).“ Das kam nicht gut an. Seinen Wahlkreis hat er bei der Bundestagswahl im Herbst 2013 mit über 70% der Stimmen gewonnen. Als Bundesbauminister wurde er abgesetzt. Mit Wahrheit und Transparenz bei öffentlichen Bauprojekten kann man in Deutschland nicht punkten.

Lug und Trug als gängige Verkehrspraxis

Von 40 Bundesprojekten sind angeblich 14 noch im Budget. Ich bin überzeugt, dass auch bei diesen Projekten die Zahlen frisiert sind. Das ist in Deutschland inzwischen auch völlig risikolos. Seit Juni 2013 sind die Akten des Bundesrechnungshofes nicht mehr der Öffentlichkeit zugänglich. Die öffentlichen Bauherren können behaupten was sie wollen, man kann es ja nicht widerlegen. Und die deutschen Beamten sind von Gesetzes wegen bei Untreue zur Verschwiegenheit verpflichtet. Nur bei Korruption dürfen sie ihr Wissen preisgeben. Wenn man ein schiefes Bauprojekt sicher erfolgreich machen will, nimmt man es in das Geheimschutzprogramm des Innministeriums auf. So werden die Budgetbetrüger noch vom BND geschützt.

Diese Möglichkeit hatte der Limburger Bischof leider nicht, deshalb flog er am Ende auf. Beim Bericht der Kirche über den Bischof von Limburg kann man nachlesen, wie das Vertuschen und Lügen bei öffentlichen Körperschaften funktioniert. Wochen vor seiner Absetzung hat der Bischof noch wissentlich den Gesandten des Papstes belogen und behauptet, die Kosten seien unter Kontrolle. Der Papst hat durchgegriffen und den unheiligen Mann abgesetzt.

Bei uns in Deutschland wird so etwas geehrt. So bekamen die Projektpfuscher des Berliner Flughafens BER alle noch ein Bundesverdienstkreuz verliehen. Das ist auf gutem Wege, gängige Verkehrspraxis in Deutschland zu werden. Für Anstifter und Verursacher des 800 Mio. Euro Debakels Elbphilharmonie gab es drei Bundesverdienstkreuze. Einer der Ausgezeichneten ist auch bei S21 mit Immobiliengeschäften stark engagiert. Wer sich mit Hilfe von Bauprojekten auf Kosten des Steuerzahler und der Bürger bereichert, hat Anspruch auf ein Bundesverdienstkreuz.

Das alles ist nur dank des Deutschen BauUnwesens völlig legal möglich. Die Logik von effizientem, sinnvollem Bauen wird komplett auf den Kopf gestellt. Und Stuttgart 21 ist das nächste Projekt in diesem Muster – wenn es weiter realisiert wird, lässt sich mein Buch sicher die nächsten 10 Jahre gut verkaufen. In diesem Sinne sollte ich mich nicht dagegen engagieren. Ich tue es trotzdem, weil es mich von Herzen schmerzt, was in meiner alten Heimat Deutschland läuft.

Wer mehr über das Engagement gegen das Deutsche BauUnwesen wissen will, ist herzlich um 19.30 Uhr ins Stuttgarter Rathaus eingeladen. Dort stelle ich kostenlos PDF-Files zur Verfügung (www.S21Unwesen.de), in denen alle Inhalte meines Buches zusammengefasst sind, die Ihnen gegen den Schwarzbau Stuttgart 21 helfen können. Ja, S21 ist ein gesellschaftlicher Schwarzbau. Es ist gesellschaftlich nicht legitimiert. Die ganze Abstimmung war eine Farce und ist für mich irrelevant. Solange nicht sichergestellt ist, dass eben nicht Lug und Trug bei öffentlichen Projekten die Regel und völlig gefahrlos straffrei sind, sollten keine solchen Neubauprojekte realisiert werden. Besser durch einen Baustopp 0.5 Mrd. Kosten haben, als 5 Mrd. Mehrkosten über die nächsten 10 Jahre. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

By the Way Bahnfahrer

Übrigens gibt es für mich persönlich einen ganz egoistischen Grund, warum ich gegen S21 bin. Ich bin ein begeisterter und überzeugter Bahnfahrer. Ich komme aus dem Bahnland Schweiz und habe dort meine Bahncard 100 (in Deutschland die Bahncard 50). Was die Bahn macht, ist mir wichtig, weil ich mit der Deutschen Bahn mehr km als mit dem PKW fahre.

Und ich möchte  nicht, dass die Bahn einen guten, funktionierenden Sackbahnhof zum Dauerproblem macht und in den Boden vergräbt. Im Juli steckte ich zweimal mehrere Stunden mit der Bahn fest. Einmal fiel ein Stellwerk in Göttingen aus und dann brannte ein Zug zwischen Bonn und Frankfurt. Die Bahn soll sich auf einen sicheren, effizienten Fahrbetrieb konzentrieren und ihre Ressourcen nicht bei Immobilienprojekten verschleißen. Diese Luxusprojekte machen nur jedes Bahnticket teurer.

Ein im Betrieb von Verkehrsbauwerken sehr erfahrener Freund hat geschätzt, dass die Betriebskosten für eine unterirdische Version des Stuttgarter Bahnhofes um jährlich 5 Millionen Euro steigen werden, nur weil er unter der Erde ist. Da ist noch keine Instandhaltung und Abschreibung für dieses extrem aufwändige Bauwerk eingerechnet. Da werden neue enorme Fixkostenblöcke aufgebaut, die wir für die nächste Generation hinterlassen. Wir verbauen heute deren finanzielle Spielräume.

In der Schweiz haben wir große Sackbahnhöfe wie Zürich und Luzern. Und trotzdem sind alle größeren Städte im Halbstundentakt verbunden. Das geht gut. Um noch mehr Verkehr zu bewältigen und noch schneller zu sein, werden bestehende Sackbahnhöfe Schritt für Schritt mit einzelnen unterirdischen Schnellbahnlinien erweitert.

Auf die abstruse Idee, den Zürcher Bahnhof unter die Erde zu legen, kamen vor einigen Jahren auch findige Immobilienleute. Da in der Schweiz, wie in praktisch allen entwickelten Ländern, bei Bauprojekten realistisch budgetiert wird, wurde allerdings schnell klar, dass sich das nie rechnet.

Nur in der europäischen Leitnation Deutschland werden Bauprojekte so billig gerechnet, wie es den Immobilienmagnaten im Hintergrund und den Protzpolitikern ins Bild passt. Es ist beschämend.

Resume:

Das Großprojekt S21 ist ein gesellschaftlicher Schwarzbau. Im Rahmen des deutschen BauUnwesens ist es ein unverantwortliches finanzielles und zeitliches Abenteuer. Es wird wie die anderen Großprojekte der öffentlichen Körperschaften sicher ein Mehrfaches des genehmigten Budgets kosten und einige Jahre länger dauern. Einen guten Bahnhof mitsamt Gleisanlagen zu vergraben macht wirtschaftlich nur für Immobilienmagnaten Sinn.

Forderung: Der alte Bahnhof bleibt und wird wie Zürich saniert. Neue unterirdische Schnellbahnlinien kommen bei Bedarf dazu (Halbstundentakt!).

Beispiel: Durchmesserlinie aus dem Züricher Seebecken nach Osten.

Heiner Geißler unterstützt „nachdrücklich“ Forderung nach voller Transparenz

„Ich unterstütze nachdrücklich die Forderung, die Öffentlichkeit durch die Möglichkeit von Ton- und Bildaufzeichnungen teilhaben zu lassen“, so Heiner Geißler auf eine kurzfristige Bitte des Aktionsbündnisses um Unterstützung seiner Forderung nach voller Transparenz der Anhörung. „Dass nun, wo es um die inzwischen aufgedeckten Fehler, systematischen Manipulationen der DB AG im Stresstest geht, die breite Öffentlichkeit ausgeschlossen werde, sei nicht hinnehmbar.“, so Bündnissprecher und Rechtsanwalt von Loeper in seinem Schreiben an Geissler.

Auch bei der heutigen Fortsetzung der Anhörung, konnte die Bahn zahlreiche Fragen und Kritikpunkte z. B. an der Fehlerhaftigkeit vieler Annahmen und Parameter ihrer Planung nicht entkräften. Viel einfachere und kostengünstigere Planalternativen wurden nie systematisch geprüft. Dass die Bahn auch heute wieder die Ton- und Bildübertragung an ein breites Publikum mit ihren Veto verhinderte, kann bei ihrer schwachen Performance in der Fachdebatte nicht verwundern, so von Loeper. Die ohnehin vorgeschobenen Persönlichkeitsschutzrechte einzelner Bahnbeschäftigter müssten hinter dem öffentlichen Interesse an uneingeschränkter Information über ein Vorhaben zurückstehen, das tief in die Entwicklung der Stadt, des Bahnverkehrs und die Belange vieler BürgerInnen eingreife.

Die Herstellung einer breiten Öffentlichkeit durch Ton- und Bildübertragungen, sei  „eine wichtige Voraussetzung, um bei der Erörterung und Würdigung des Projekts einen breiten Konsens zu erreichen.”, so Geißler weiter. „Die Standards an Öffentlichkeit und Transparenz, die bei „Schlichtung“  und Stresstest gegolten haben, dürften nicht unterschritten werden – sie gelten unabhängig davon wie man zu Stuttgart 21 steht. Ergebnisoffenheit, also die Bereitschaft auch nicht genehme Ergebnisse zu akzeptieren, ist dabei unverzichtbare Prämisse, so von Loeper.

 

Kontakt:  Werner Sauerborn: 0171 320 980 1